Johann von Besser
(1654-1729)
Der Scheeren-Schleifer
1. Background
Leben
Des
Herrn von Besser,
beschrieben
von
Johann Ulrich König
[N.B.: Johann von Besser wurde im Mai 1690 Ceremonienmeister des Kurfürstlichen Hofes zu Berlin.]
<1: LXXVII>
Unser Verfasser hatte bereits im 1690sten Jahre dem Herrn von
Danckelmann eine ausnehmende Probe seines ergebensten Eifers für
dessen Ehre gegeben, da, bey Gelegenheit eines angestellten Wirthschaft,
einige Hofschrantzen die Loose so gemischet hatten, daß der Herr
von Danckelmann, in der Verkleidung, die Person des Scherenschleiffers
vorstellen sollte. Dann der Herr von Besser, als er seinen
Gönner darüber in etwas betreten fand, erbothe sich augenblicklich,
wann man es ihm erlauben wolte, durch einige, der Gewohnheit an Höfen
gemäß, auf diese Wirthschaft verfertigte satyrische Sinn-Gedichte,
die gantze Sache dermassen zum Vortheil des Herrn von Danckelmann
herumzudrehen, daß die Absicht seiner Feinde schlechterdings
dadurch solte verspottet werden. In der That wuste er so dann
die Person des Scherenschleiffers so vortheilhafftig aufzuziehen, daß von einem
so beissenden Schertz den Neidern selbst, zwar im Lachen, aber auch
zugleich von heimlichen Verdruß, die Augen übergiengen, und diejenigen,
so einen andern lächerlich machen wolten, nunmehr selbst geschraubt
und ausgelacht wurden.
Der Herr von Danckelmann hielt ihm auch treulich Rechnung dafür. Er schob ihn nicht nur von einer Ehren-Stuffe auf die andre, <1: LXXVIII> und bewog den Churfüsten, daß er unserm Herrn von Besser für mancherley seit einiger Zeit verfertigte Hof-Gedichte, tausend Thaler, als ein Geschenk auszahlen ließ sondern er bezeigte auch selbst seine Erkentlichkeit auf eine sehr freygebige Weise.
Er hatte vor wenigen Jahren unserm Verfasser wegen eines über den Tod der Frau von Danckelmann verfertigten Trostgedichts zweyhundert Thaler verehret. In diesem Jahre beschenckte er ihn für obgedachte Lob-Schrifft mit sieben hundert Thalern, nemlich mit dreyhundert vor, und mit vierhundert Thalern nach dem Drucke, und bedanckte sich gegen ihm auf das verbindlichste in einem eigenhändigen Schreiben. In dem folgenden Jahr aber ließ er ihm für das Sinngedicht über seine Erhöhung zur Oberpräsidentschafft, und für ein Klag- Gedichte über das Ableben eines von den Brüdern des Herrn von Danckelmann, abermahl zweyhundert Thaler reichen. Der Herr von Canitz erzeigte sich in dem nachherigen 1696sten Jahre nicht minder freygebig gegen unsern Verfasser, wegen der vollkommen schönen Trost- Ode über die Verstorbene Doris; obwohl seine gewöhnliche edle Art etwas zu geben, das Geschencke, wie ansehnlich es auch war, bey weitem übertraf. Der Herr von Besser war im August-Monat, auf Befehl, dem Churfl. Hofe nach Cleve gefolgt, und von dem Herrn von Canitz, von Hamburg aus, ersucht worden, seine Reise durch diese Stadt zu nehmen, woselbst er sich damahls in Verschickung aufhielt.
Unser Verfasser machte sich also das Vergnügen, dieser Einladung zu Folge, auf der Rückreise einen so wehrten Freund allda zu besuchen, woselbst sie, einige Tage, in Gesellschafft des Kayserlichen Gesandten, Grafen von Eck, und des nachherigen Bürgermeisters von Bostel, welche, ausser ihren übrigen Verdiensten, auch zugleich grosse Liebhaber der Poesie waren, auf das angenehmste zubrachten. Wie sie nun noch mehrere vornehme Gesellschaften besuchten, und nebst andern Ausgaben, der Herr von Besser ein Ansehnliches im Spiel verlohr, both ihm der Herr von Canitz so gleich fünf hundert Thaler an, die von jenem, gegen einen von sich gestellten Schein, angenommen wurden. Nachdem aber beyde in Berlin wieder zusammen gekommen waren, und der Schuldner das Geld ersetzen wolte, entschuldigte sich der Gläubiger beständig, daß er solches mit gutem Gewissen nicht wieder nehmen könte, weil jener solches nicht würder verlohren haben, wann dieser ihn nicht, nach Hamburg zu kommen, genöthiget, folglich Ursache zu seinem Verlust gegeben hätte. [...]
[Besser hatte Postel/Bostel bei dessen Besuch in Berlin 1691 kennen gelernet; sie fuhrten einen Briefwechsel (lxxx).]
[note: Johann von Besser was made Ceremonienmeister at the court in Berlin in May 1690.]
Already in 1690, our writer [sc. Besser] had given Herr von Danckelmann an outstanding example of his most devoted zeal for his honor when, on the occasion of a Wirtschaft, some courtiers had arranged the lots so that in the masquerade Herr von Danckelmann was selected to play the role of a knife grinder. Upon which Herr von Besser, finding his patron somewhat embarrassed, immediately offered, if he were allowed, to use some satirical epigrams made for this Wirtschaft according to the usage at courts, thus turning the whole affair to the advantage of Herr von Danckelmann so that the intention of his enemies could simply be mocked. In fact, he was able to stage the character of the knife grinder to such advantage that the biting jokes made even the envious parties tear up with laughter, although also with secret annoyance, and those who had wished to make someone else ridiculous were themselves vexed and laughed at.
Herr von Danckelmann also repaid him faithfully. Not only did he raise him from one level of honor to the next, and convinced the Elector to dispense Herr von Besser a thousand Thalers for various court poems he had written in the preceding period, but he also showed his gratitude personally in a very generous manner. [...]
[Note: the next paragraph happens to mention a meeting between Besser and Bostel/Postel, the librettist of Conradi's Ariadne, in Hamburg in 1696. They had met when Postel visited Berlin in 1691, and corresponded thereafter. ]
The entertainment in question was a dress-up event in which court personalities represented lower-class types at an inn. See Adelung, s.v. "Wirthschaft", definition 2:
Eine Lustbarkeit bey Hofe, nach welcher die häuslichen Geschäfte eines Gastwirthes in einer Verkleidung vorgestellet werden.
This event has sometimes been represented as a "Singspiel." Besser was involved in court ballets and other entertainments with music, but in connection with these König's biography mentions the genre explicitly and the text of his works uses words like "Singspiel". Since neither the description nor the text (see below) mention any music here, it is safest to assume that no music was involved.
2. Text
= B 2: 759-63, A 465-69, Neukirch 3: 115-20.
<759>
Der Scheeren-Schleifer,*
Bey der
in Berlin gehaltenen Wirthschafft,
den 7. Januar. 1690.
* Es war der damahlige Premier-Minister, Herr Eberhard v. Danckelmann.
Der Scheeren-Schleiffer
Zum Scheeren-Schleiffer hat das Loos mich heut erkohren.
Ich bin es eben nicht, auch nicht darzu gebohren;
Jedoch weil sich der Mensch in alles schicken soll,
Gefällt auch dieser Stand mir diese mahl gar wohl.
Wohlan, so will ich dann, durch die vermumte Schaaren,
Der Schleiffer-Nahrung nach, mit meinem Wagen fahren.
Was nur den Stein verträgt, und sich der Mühe lohnt,
Das schleiff ich ab und zu, der Grösten unverschont,
Es ist doch heute Brauch in fremdes Amt zu greiffen,
Trägts mir den Scheeren nichts, so werd' ich Menschen schleiffen.
An Mars und Venus.
Scheer-Schleiff, mein Herr, Scheer-Schleiff! Ich glaub' es ist der Mars.
Heist er so auf Latein, nenn' ich mein Handwarck Ars.
Du meynst, ich diene nichts zu deinen strengen Kriegen:
Schliff Weisheit nicht dein Schwerdt, du würdest wegen siegen.
An den Römer Se. Churfl. Durchl. und die Römerin das Fräulein von Kroseck.
Der Römer ist zu groß von mir was zu begehren;
Allein der Römerin, schleifft man noch wohl die Scheeren,
Doch sieht der Römer auch an seinen Edelsteinen,
Daß sie geschliffen sind, weil sie so helle scheinen.
An den Schiffer, Marggraf Philip.
Daß euerer Scheeren Art von meiner unterschieden
Weiß ich zwar, Schiffer, wohl, drum laß ich euch zufrieden:
<760>
Doch wär in dem Compaß die Nadel nicht geschliffen,
Ihr würdet nimmermehr gerade können schiffen.
An den Littauischen Bauer,* Marggraf Ludwig.
Hoh, hoh! der schickt sich recht auf meine kleine Mühle!
Hieher Littauscher Baur, dir schleiff' ich, bey dem Spiele,
Die rohen Sitten weg; doch gehts bey dir noch zu:
Dein Weib, das grösser ist, hats nöthiger als du.
* Hier ist ein Sinn-Gedicht auf den Pater und die Nonne, so der Marggraf Carl gewesen, mit Fleiß weggelassen worden, es steht aber im III. Buch der Hofmannswaldischen Gedichte. Bl. 116. [S. unten, Anhang]
An den Gärtner, den Ober-Cämmerer, Herrn Graf von Dönhof, und die Gärtnerin, Ihre Durchl. die Churfürstin
Herr Gärtner, wie so lahm? wie stehts ums Garten-Messer?
Mich düncket, es wird stumpff: geschliffen wär es besser.
Wer aber hat so schön die Gärtnerin poliert?
Ein ander, meyn ich wohl, als der sie ietzund führt.
Fürst von Anhalt, ein alter Teutscher.
Was sagt mein Schleiffer-Amt vom alten Biederman?
Ich sehe nichts an ihm, so ich mehr schleiffen kan.
Sein Alter und sein Witz, ist mir zuvor gekommen,
Und hat mir alle Mü, des Schleiffens schon benommen.
An den Unger und den Pohlen.
Der Unger schmeichelt sich, sein Säbel sey noch scharff.
Wohl dem, der keiner Hülff' und Schleiffens mehr bedarff!
Was aber haltet ihr von diesem dicken Pohlen?
Mich dünckt, ich werde wohl den Tischer müssen holen.
Nürnberger Bräutigam, der Herr von Fuchs, und dessen Frau, dei Frau von Kneßbeck, die eben schwanger.
<761>
Nürnberger Bräutigam, die Braut die ist ja schwanger:
Es scheint, ihr weidet gern auf einem fremden Anger.
Der aber eure Frau so rund und glatt geschliffen,
Sagt, hat er meiner Zunfft nicht in das Amt gegriffen?
An den Signore Capitano, dessen Frau die Fr. Ober-Marchallin von Gromkau.
Italiänischer Signor, Herr Capitain:
Ihr seyd zwar lang genug, und bildet euch was ein.
Doch müstet ihr noch offt durch meine Mühle gehen:
Bevor ich diese Frau, euch würde zugestehen.
An den Koch, den damahligen Schloß-Hauptmann von Kolbe.*
Wie manches groß und klein, und ungebohrtes Loch,
Haut euer Bratspieß nicht gemacht, berühmter Koch!
Weil aber ihr nicht freyt, will euer Spies wo fehlen?
Ich schleiffe nicht allein, ich kan auch wohl verstählen.
* Nachmaligen Premier-Minister, Grafen von Wartenberg.
An den Schuster, dessen Frau das jüngste Fräulein Blumenthal.
Hier Schuster, Meister Hans, ihr habt ein schönes Weib!
Wie theur ein gut paar Schuh? Was gilt ein solcher Leib?
Ey gebt, von dieser Haut, mir einen guten Riemen;
Ich schärff euch, oder auch, ich schenck euch einen Pfriemen.
An den Apothecker, den Freyherrn von Canitz.
Braucht ihr, mein Herr, Cliestier, nicht alte Scheeren-Spitzen?
Sie können euch vielleicht zu Erbschaffts-Pulvern nützen.
Denckt nicht, daß ihr allein, das Stückchen wißt; mit Gunst:
Es hört viel Wissenschafft zur Scheerenschleiffer-Kunst.
An den Ratzen-Fänger, dessen Frau, die von Mandelslih.
Hört Meister Fledermaus, geöhrter Ratzen-Fanger,
Was führt ihr an der Hand, für einen alten Gänger?
<762>
Mein Handwerck dient euch nicht, doch kan mein Rath was stifften:
Fangt ihr die Ratzen nur, das Weib mag sie* vergifften.
* Mit ihrem übelriechenden Odem.
An die Läuffer.
Wo eilet ihr so hin, ihr Hasen-schnelle Läuffer?
Findt ihr, ihr reist viel, nicht gute Scheeren-Schleiffer?
Ey, wenn ihr welche trefft, weißt sie dem Hofe nach:
Es giebt so viel zu thun, daß ich allein zu schwach.
An den Nordländischen Bauers-Mann, dessen Frau das älteste Fräulein von Blumenthal.
Nordländscher Bauers-Mann, was thut dies Jahr die Butter?
Des Weibgen ist gar fein zu einer Käse-Mutter.
Wenn euer Kneiff nicht scharff, den Käse glatt zu schneiden,
Was dünckt euch, köntet ihr den Scheeren-Schleiffer leiden?
An den Fischer.
Krebs-Scheeren kennen wohl die Fischer, weil sie fischen,
Wenn aber ungefehr, euch Meister, sie erwischen:
Sprecht nur getrost mir zu; Ich kan die Scheeren schleiffen,
Daß sie, wem es gefällt, hernach nicht wieder kneiffen.
Der Scheern-Schleiffer zu seiner Frau, Herr von Danckelmann.
Frau, die ihr durch den Spruch des Looses mich genommen,
Erklärt nun öffentlich: Ob ihr wohl angekommen.
Es stellt sich alle Welt vor meinen Schleiff-Stein ein,
So muß ja euer Mann ein braver Schleiffer seyn.
Schluß-Redner.
Daß sey auf heut genug: Man kommt von allen Seiten
Ich kan auf einen Tag nicht alle gleich bestreiten.
Ihr liebes Frauen-Volck, doch lieber jung als alt
Ich weiß wohl, daß ihr viel, von scharffen Scheeren halt;
<763>
Kommt morgen in mein Haus, ich schleiffe nach Verlangen,
Und wen ich sonsten mehr, in Eil, heut übergangen,
Der stelle sich bey mir, großgünstig wieder ein,
Ich will, nach Stands-Gebühr, iedwedem willig seyn.
Die Narren bey der Wirtschaft
*** *** *** ***
1. An den Gärtner.
Der Gärtner reichet fast bis an den Himmel hin;
Doch strahlt weit über ihn, die kleine Gärtnerin.
Wie glücklich ist der Man auch wider die Vernunfft
Er hat das schönste Weib, von dieser gantzen Zunfft!
2. An die Römerin.
Die schlancke Römerin ist prächtig angekleidet;
Sie hat viel Artigkeit und wird darum geneidet.
Doch fürchtet sie sich nicht, weil sie dem Man gefällt;
Und jene Gärtnerin, sie in der Blüth' erhält.
3. An den Scheeren-Schleiffer.
Ich sehe mit Verdacht den Scheeren-Schleiffer an,
Mich düncket, daß er mehr als dieses Handwerck kan.
Seht docht, wie er handthiert, es scheint, er wird sich nähren:
Er schleifft die Scheren gut, und kan zugleich auch Scheren.
4. Die Narren zu einander.
Wir Narren müssen heut uns zu der Narrheit zwingen.
Ein Amt, das mancher hier natürlich kan vollbringen.
Was aber gäben sie, für uns, diß Werck zu treiben:
Wir sinds auf einen Tag, sie müssen Narren bleiben.
*** *** *** ***
Anhang: Das Sinn-Gedicht aus der Neukirch'schen Sammlung
An den Pater / Mar. C. und seine Nonne.
WIe stehet ihr so nah / Herr Pater / bey der Nonnen?
Der orden ist bequem zur kurtzweil ausgesonnen.
Weißt aber / wenn ihr so nach Nonnen-kutten greifft /
Daß euch diabolus die gleißner-finger schleufft.
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3. Bibliography
- A =
-
Des Herrn von B. Schrifften, Beydes in gebundener und ungebundener Rede;
so viel man derer, Theils aus ihrem ehemahligen Drucke,
Theils auch aus guter Freunde schrifftlichen Communication,
zusammen bringen können.
[14], 490, [16] p.: ill., port.; 20 cm.
Leipzig: Gleditsch, 1711.
Fabre du Faur Sammlung (Yale), Nr. 1696. Mikrofilm: German baroque literature, Spule 602. - B =
-
Des Herrn von Besser Schrifften, Beydes In gebundener und ungebundener Rede; ...
Ausser des Verfassers eigenen Verbesserungen,
mit vielen seiner noch nie gedruckten Stücke und neuen Kupfern,
nebst dessen Leben und einem Vorberichte ausgefertiget von Johann Ulrich Knig ...
2 vols. Ill., port.; 20 cm.
Leipzig: Gleditsch, 1732.
Fabre du Faur Sammlung (Yale), Nr. 1697. Mikrofilm: German baroque literature, Spule 602.
Seitenzahlen zu dieser Ausgabe, auf der die Textausgabe beruht, werden in roten <> angegeben. - Adelung, Johann Christoph.
- Grammatisch-critisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart .... Rev. Soltau and Schönberger. Wien: Bauer, 1811. Available online.
- [Neukirch, Benjamin, ed.]
- Herrn von Hofmannswaldau und anderer auserlesener
und bißher ungedruckter Gedichte dritter Theil. Leipzig: Fritsch, 1703.
Fabre du Faur Sammlung (Yale), Nr. 1345. Mikrofilm: German baroque literature, Spule 419.
Die Version vom "Scheeren-Schleiffer" in dieser Ausgabe numeriert die Sinn-Gedichte.